Wie steht es mit der Berliner Initiative "Verbot von Leiharbeit in der Pflege"?

 

Die Initiatorin und ihre Argumente

 

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) kündigte im Oktober 2019 an, dass das Land Berlin Anfang 2020  eine Bundesratsinitiative für ein Verbot von Leiharbeit in der Pflege starten werde. Grund sei, dass In den vergangenen Jahren  immer mehr Pflegekräfte  sich für einen Wechsel in die Zeitarbeit entschieden hätten. Dort verdienten sie dank überdurchschnittlicher Löhne deutlich besser und können noch dazu selbst entscheiden, welche Dienste sie übernehmen wollen. Die Kosten für Zeitarbeit würden ständig steigen und beim Stammpersonal herrsche Unmut. Das Verbot soll eine weitere Abwanderung von Fachkräften verhindern, die Qualität der Pflege verbessern und die Versorgung sowie Patientensicherheit gewährleisten.

 

Die Argumente auf dem Prüfstand

 

Dieses Bild von der Flucht der Pflegekräfte in die Zeitarbeit ist durch übertriebene Berichterstattung hochgepuscht worden, entspricht aber nicht der Realität. Während in der Gesamtwirtschaft die Zeitarbeit 3% der gesamten Beschäftigten ausmacht, sind es in der Pflege grade mal 2%. Da kann man nicht von „immer mehr“ Abwanderungen sprechen (Quelle: Bundesagentur für Arbeit).

 

Ein Verbot der Abwanderung als Argument bewegt sich auf dünnem Eis, da hier die im Grundgesetz festgeschriebene Freiheit der Berufswahl entgegensteht.

 

Von Mängel in der Patientensicherheit ist auch nichts öffentlich bekannt. Übrigens ist sind die Kliniken und nicht die Personaldienstleister für die Patientensicherheit verantwortlich.

 

Einen möglicher Verweis auf das 1982 verhängte Verbot  von Zeitarbeit im Bau als Blaupause ist wenig als Argument geeignet.  Das Verbot in der Baubranche wurde stets damit begründet, dass Zeitarbeit dort die soziale Sicherheit gefährden und Schwarzarbeit fördern würde. Das Verbot ist jedoch durch eine Tarifoption ergänzt worden. Danach ist Zeitarbeit am Bau nicht generell verboten, sondern dann  möglich, wenn darüber ein Mehrparteien-Tarifvertrag geschlossen wird.

 

Frau Kalayci als treibende Kraft der Verbotsinitiative sitzt im Aufsichtsrat der Charité und der Vivantes - Netzwerk für Gesundheit GmbH (größter kommunaler Klinikverbund), beides Gesellschaften des Berliner Senats. Sie vertritt in Ihrem Anliegen offensichtlich die Interessen der Klinikbetreiber, da der Kern der Argumente die hohen Kosten der Zeitarbeit sind.

 

Zwischenzeitlich versuchte das in Berlin ansässige Vermittlungsportal Insitu GmbH (arbeitet mit 60 von 69 Klinken in Berlin zusammen) sowohl eine Preis- als auch eine Lohnobergrenze für Zeitarbeitspersonal einzuführen. Diese Verstöße gegen nationales und EU- Recht sind inzwischen vom Bundeskartellamt unterbunden worden.

 

Die Expertenanalyse

 

Laut Analyse  von Prof. Sell ist die  Forderung nach einem Verbot der Arbeitnehmerüberlassung in der Pflege als eine Art Schützenhilfe für die Arbeitgeber zu verstehen, „die natürlich not amused sind, dass hier eine Exit-Option für Pflegekräfte besteht und die schlichtweg die schlechteren Karten im Spiel haben aufgrund der generellen Mangelsituation in der Pflege. Außerdem haben sie natürlich erhebliche zusätzliche Kosten zu tragen, wenn sie gezwungen sind, auf Leiharbeitskräfte zurückzugreifen. Darauf kann man mit einem Verbot der Leiharbeit zu reagieren versuchen im Sinne einer Hilfestellung für die Arbeitgeber – aber man muss eben auch zur Kenntnis nehmen, dass man damit einen überschaubaren Bereich von Leiharbeit strangulieren würde, in dem das Pendel zugunsten der Leiharbeitnehmer ausgeschlagen ist“ (https://efarbeitsrecht.net/kommt-das-verbot-der-leiharbeit-in-der-pflege-und-warum-jetzt/).

 

Die Kanzlei Prof. Dr. Tuengerthal hält „ein Verbot voraussichtlich verfassungswidrig und europarechtlich bedenklich. Zudem stellt sich die Frage, ob die Politik hier überhaupt am Kern des Problems ansetzt. Wenn Pflegekräfte in Zeitarbeitsunternehmen wechseln, weil sie dort bessere Arbeitsbedingungen haben, wäre die Lösung des Problems nicht die Arbeitsplätze in der Zeitarbeit zu verbieten sondern vielmehr auch für Stammbeschäftigte bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Denn ein Verbot von Zeitarbeit in der Pflege beseitigt nicht die Grundprobleme der Pflegebranche“ (https://protag-law.com/berlin-fordert-verfassungswidriges-verbot-von-zeitarbeit-in-der-pflege/).

 

Die Berliner Initiative zur Zeitarbeit in der Pflege ist von den federführenden Ausschüssen „Arbeit und Soziales“ und „Gesundheit“  des Bundesrats auf „Wiedervorlage“ verschoben worden. Danach kam es bei der Sitzung des Bundesrats am 27. März 2020 nicht zur Behandlung. Die Entscheidung fiel mit 16:0 Stimmen eindeutig aus. Selbst das Land Berlin, das auf Betreiben der Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) den Antrag in die Länderkammer eingebracht hatte, stimmte der Wiedervorlage zu. Der Antrag muss, um vom Bundesrat erneut behandelt zu werden, wieder von einem Bundesland auf die Tagesordnung gesetzt werden.

 

Frau Kalayci ist auch schon längst zurückgerudert und spricht nicht mehr von Verboten, sondern möchte ein „Maßnahmenpaket zur Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege"  entwickeln (https://www.iq-z.de/2020/01/13/berliner-senatorin-dilek-kalayci-und-die-zeitarbeit-in-der-pflege/).

 

Darin steht unter Anderem:

  • ein Gutachten zur Prüfung der Auswirkungen der Leiharbeit auf die Pflegequalität und Versorgungssicherheit mit der Charité,
  • Eckpunkte eines Rahmenüberlassungsvertrags für Zeitarbeitsfirmen,
  • die verstärkte Anzeige und ein Beschwerdemanagement für die Verletzung von Überlassungsverträgen,
  • Qualitätskriterien bei der Zulassung von Erlaubnisinhabern.

 

Das Fazit: 

 

Bei den Verfassungsrechtlichen bedenken möchte ich das EU-Recht noch einmal beleuchten: Ein Verbot der Zeitarbeit in der Pflege würde europarechtlich einen Verstoß gegen die Leiharbeitsrichtlinie bedeuten. 

 

Hierzu steht in Artikel  4 (1): 

 

„Verbote oder Einschränkungen des Einsatzes von Leiharbeit sind nur aus Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt; hierzu zählen vor allem der Schutz der Leiharbeitnehmer, die Erfordernisse von Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz oder die Notwendigkeit, das reibungslose Funktionieren des Arbeitsmarktes zu gewährleisten und eventuellen Missbrauch zu verhüten.“ 

 

Für den Gesundheitsschutz und die Sicherheit am Arbeitsplatz sind die Kliniken allein Verantwortlich. Gründe für einen  notwendigen Schutz der Leiharbeitnehmer sind auch nicht vorhanden.

 

Im Moment werden die Regelungen des AÜG evaluiert. Hierbei nimmt der Unterzeichner als Experte teil. Das Verbot der Zeitarbeit in der Pflege ist bei der Evaluierung kein Thema.

 

Fasst man die aufgeführten Fakten zusammen, ist das Thema Verbot  der Zeitarbeit in der Pflege „vom Tisch“. Wie sagte Herr Spahn: „die zunehmende Leiharbeit in Krankenhäusern sei nun mal Ausdruck des Arbeitsmarktes, wie er eben ist“.

 

Es ist also kein Verbot der Zeitarbeit in der Pflege zu erwarten.